Über uns

Dorothea Peichl hat im Oktober 2020 mit den Akteuren Interviews geführt und ihre Gedanken zusammenfassend aufgeschrieben.


Dorothea Peichl

„Gleiche Bildungschancen für alle! propagiert die Politik seit Jahrzehnten. Wie sieht die Realität aus? Lernt das weniger begabte Akademikerkind einen Handwerksberuf? Wird das begabte Arbeiterkind Professor? Eher seltener.

Nachdem ich früh in den Vorruhestand ging, erfüllte ich mir einen Jugendtraum und arbeitete mit Kindern. In meinem Fokus standen sozial benachteiligte.

Unverschuldet werden sie häufig von einer angemessenen gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen, weil ihre Eltern sie nicht fördern können oder wollen. Soziokulturelle und sozioökonomische Verhältnisse beeinflussen das Lernverhalten der Kinder. Schon in der Kita ist das offensichtlich.

Kann man das ausgleichen? Die meisten Kinder nutzen die Chance der individuellen Förderung. Sie lernen sowohl adäquates Sozialverhalten als auch die Zahlen bis zehn.

Die Basis für das gesellschaftliche Zusammenleben wird entscheidend in der Kita geprägt. Spätestens hier lernen die Kinder Regeln. Darf ich, nur weil ich größer bin, einem anderen Kind den Bauklotz wegnehmen? Darf ich sagen, Moslems dürfen in keine christliche Kirche? Darf ich beleidigt sein, wenn ich bei einem Spiel verliere? Mit all diesen Fragen und noch vielen anderen beschäftigen sich die Kinder und die Erziehenden. Ich wollte einen bescheidenen Beitrag dazu leisten.

Alle Kinder sind lerneifrig und wissbegierig. Ich begegne ihnen auf Augenhöhe. Einmal die Woche spiele ich mit ihnen und schnell merken sie selbst, dass sie Fortschritte machen. Das motiviert sie.

Ich begegne oft Schulkindern, ehemaligen Kitakindern, und erkundige mich nach ihren Schulerfahrungen. Ich habe den Eindruck, unsere Kinder starten mit viel Selbstvertrauen, was sich positiv auf ihre Leistungen auswirkt.

Mit wenig Aufwand leiste ich einen kleinen Beitrag zur Chancengleichheit.


Gisela Beckmann

Ich habe immer gerne mit Kindern gearbeitet. Als Rentnerin hatte ich plötzlich viel Zeit und habe mir eine entsprechende Aufgabe gesucht. Kinder brauchen Zuwendung und Förderung. Heutzutage haben viele Eltern keine Zeit mehr für sie. Kinder genießen besonders die Einzelzuwendung.

Ich möchte ihre Interessen wecken und möchte, dass sie ihren Alltag verstehen. Aber nicht nur die Kinder treten in einen Lernprozess, auch ich selbst. Es entsteht eine Rückkoppelung. Mir ist heute viel klarer, wie Kinder lernen. Manche meiner Positionen musste ich überdenken. Hilfreich fand ich die Fortbildungen. Vieles ließ sich gleich anwenden.

Manchmal sind die Kinder unruhig und können sich schlecht konzentrieren. Dann lasse ich sie auf einen Kinderstuhl steigen, reiche ihnen ein Tier, Obst oder anderen Gegenstand und lasse sie sie benennen. Anschließend dürfen sie runterhüpfen. Diese sportliche Übung erfordert viel Mut, Konzentration und Geschicklichkeit. Die Kinder sind mit Feuereifer dabei. Bewegung ist sehr wichtig.


Karin Parnitzke

Als Rentnerin gehe ich in die Kita, weil ich den Kindern das Gefühl geben möchte, es ist jemand da und macht sich über sie Gedanken. Ich möchte zu ihnen eine Bindung aufbauen, aber auch spielerisch und ohne Druck Wissen vermitteln.

Als Erfolg werte ich, wenn sie selbst merken, dass sie etwas gelernt haben, wenn sie beispielsweise den Würfel verstehen oder problemlos bis 10 zählen.

Eine Zeitlang kam ein Junge zu mir, der nicht sprach. Er war zu schüchtern. Anfangs ließ ich ihn in einer kleinen Gruppe mitspielen und forderte ihn nicht zum Reden auf. Allmählich kamen die ersten Worte. Nun konnte ich mich mit ihm alleine beschäftigen und seine inzwischen entstandenen Defizite beheben. Er entwickelte sich zu einem aufgeschlossenen und lebendigen Jungen.

Ein Mädchen war nach dem Tod seines Vaters nicht mehr in der Lage, die einfachsten Spiele zu verstehen. Außerdem war sie durch ihr lautes Wesen nicht sehr beliebt. Diesem Mädchen habe ich vermittelt, dass ich es mag, gerne mit ihm spiele, ihm zuhöre und es ernst nehme. Gleichzeitig habe ich von ihm Einsatz gefordert und es ermuntert, indem ich ihm sagte: „Du kannst das!“ Nach einem halben Jahr konnte es anderen Kindern die Spiele erklären, worauf sie sehr stolz war.

Einmal haben zwei Freunde in einer Vierergruppe mit mir gespielt. Einer war stark und von sich überzeugt. Er butterte den schüchternen Freund unter, der immer nur an seinen Lippen hing. Den lebendigen Jungen habe ich nicht mehr in die Gruppe genommen. Dadurch erhielt der schüchterne die Möglichkeit, sich zu entfalten. Wenn ich ihm heute auf der Straße begegne, grüßt er mich fröhlich.
Mit wenig Aufwand kann man viel für die Kinder tun.


Sigrid Sattmann

Beim Spiel kann man Kindern alle Aspekte des Verhaltens in unserer Gesellschaft vermitteln: Zuwendung, Gruppenverhalten sowie Aufstellen und Einüben von Regeln, um angemessene Reaktionen bei Konflikten zu erreichen. Auf natürliche Weise üben sie Wettbewerbsverhalten, die Fähigkeit zu verlieren und zu gewinnen. Gleichzeitig lernen sie die Grundbegriffe des Rechnens und der Sprache.

Am wichtigsten ist mir aber, dass die Kinder Spaß haben und ich natürlich auch.
Ich bin die Spielleiterin, aber ich verstehe mich als Partnerin. Gemeinsam diskutieren wir, was wir machen.

Einen Jungen erwischte ich beim Schummeln. Beim „Zauberschloss“ lugte er heimlich unter die Karten. Ich erklärte ihm, das sei Betrug und verstoße gegen die Regeln. Ferner wies ich darauf hin, wenn ihr schummelt, gehe ich nach Hause. Danach erklärte er jedem neuen Mitspieler: „Wenn du schummelst, geht die Spielefrau nach Hause. Denn das ist Betrug und ganz schlimm.“

Ich hatte auch einmal vier Kinder, die sich auf kein Spiel einigen konnten. Ein Junge schlug vor: „Lasst uns die Spiele gemeinsam anschauen und dann entscheiden.“ So verfuhren sie und haben ein Stück weit Demokratie ausprobiert.


Barbara Selchow

Ich beobachte sehr viel das Erziehungsverhalten der anderen. Kinder kennen heute häufig keine Märchen mehr und schauen oftmals grausige Filme, die sie gar nicht verkraften.

Ich entschied mich, ehrenamtlich in der Kita zu arbeiten, weil ich dazu beitragen wollte, sowohl natürliches Lernen als auch Gemeinschaft zu fördern. Die meisten Kinder gleichen ihre Sprachdefizite schnell aus. Sie selbst achten darauf, dass die Spielregeln eingehalten werden.

Wichtig ist mir, dass die Kinder alltagstauglich werden. Ich halte sie dazu an, die Spielzeit, meist 15 Minuten, durchzuhalten. Jungen müssen häufig erst lernen, dass Mädchen gewinnen dürfen. Aber auch auf Hygiene und vor allem Hände waschen, habe ich schon immer geachtet.

Ich bin streng, schicke auch manchmal ein bockiges Kind vom Tisch fort. Trotzdem kommen diese Kinder beim nächsten Mal freudig wieder. Nach solchen Anfangsschwierigkeiten lernen sie sowohl Sozialverhalten als auch Zahlenverständnis sehr schnell.

Die Einstellung der Erziehenden uns gegenüber kann unsere Akzeptanz bei den Kindern erhöhen. Schwierig wird es, wenn ein Erziehender sich durch uns bei der Arbeit gestört fühlt. Aber das lässt sich alles klären.


Marianne

Matheunterricht in der Schule war und ist für viele Menschen eine Horrorvorstellung. Dabei ist Mathematik das Fundament für die Schule und das Leben. Im Alltag brauchen wir sie beispielsweise beim Einkaufen. Die praktische Umsetzung der Mathekenntnisse kommt in der Schule zu kurz.

Ein Leben ohne Mathematik gibt es nicht.

Deshalb gehe ich in die Kita und spiele mit den Kindern. Sie sollen begreifen, dass Mathe schön ist und erst gar keine Ängste entwickeln. In diesem Alter empfinden alle Kinder Freude am Lernen.

Ich arbeite sehr gerne mit dem Zahlenteppich. Damit wird Zahlenkompetenz vermittelt. Der Lernprozess wird durch die Bewegung verstärkt. Auch das Sozialverhalten wird durch den Zahlenteppich positiv beeinflusst. Die Kinder stehen zum Beispiel in einer Reihe und müssen warten, bis sie dran sind. Jedes Kind hat seine Besonderheiten. Keines darf untergebuttert werden.

Unser Engagement gibt den Kindern Sicherheit. Sie gehen mit Selbstbewusstsein in die Schule.


Ich habe keine pädagogische Ausbildung, habe lediglich mein eigenes Kind groß gezogen. Die ehrenamtliche Arbeit in der Kita war Neuland für mich. Die Tätigkeit ist auch Ersatz für Enkel, die weiter weg wohnen.

Ich wohne im Kiez und gehe schon einige Jahre in die Kita. Ich wünsche mir generationsübergreifendes Zusammenleben. Ältere und Jüngere sollen aufgeschlossen und rücksichtsvoll miteinander umgehen.

Was kann ich in der Kita machen? Ich will, dass die Kinder ihre Ressourcen nutzen. Sie sollen Sprach- und erste Mathekenntnisse erwerben, lernen, Regeln zu beachten und Konflikte verbal zu lösen und nicht durch Schlagen. Kinder müssen sich ausprobieren. Sie sagen scheinbar unmotiviert „nein“. Dann brauche ich viel Geduld. Einige sind ehrgeizig. Aber Sieger müssen auch auf die Verlierer eingehen. Kinder sollen sich in die Gemeinschaft einfügen.

Beim Einkaufen treffe ich manchmal ehemalige Kitakinder, mit denen ich mich unterhalte. Ich genieße es, die Kinder aufwachsen zu sehen.

Zu den Erziehenden habe ich ein Vertrauensverhältnis. Ich empfinde Hochachtung und Wertschätzung für ihre Arbeit. Wir tauschen uns regelmäßig aus und äußern auch Kritik. Es muss alles angesprochen werden. Es bedeutet mir viel, dass die Erziehenden sagen: „Du gehörst zu uns!“

Ich habe auch mit den Zweijährigen gearbeitet. Da hat Sicherheit die oberste Priorität. Beim Spiel geht es mir um den Spaßfaktor, nicht ums Leistungsprinzip.

Einmal habe ich mit ihnen ein Buch über den Frosch angesehen. Thema war Nah und Fern, Groß und Klein. Zunächst gab es eine große Abbildung vom Frosch. Danach vom Frosch auf der Seerose. Auf dem letzten Bild sah man einen Park, einen Teich, Wohnhäuser etc. Die Frage lautete: „Seht ihr den Frosch noch?“ War das zu anspruchsvoll? Sie wählen selbst, was sie sich aneignen.

Bärbel